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ATIS informiert: Häufige Frage in der Frauenheilkunde – können Erenumab oder andere CGRP-Blocker während der Schwangerschaft sicher angewendet werden?

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Frage an ATIS

Eine Kollegin, Fachärztin für Frauenheilkunde, fragt: „Ich behandle eine 27-jährige Patientin, die seit langem unter häufigen und schweren Migräneanfällen leidet. Seit einigen Monaten injiziert sie regelmäßig Erenumab und so wie sie es darstellt, wirkt diese Prophylaxe bei ihr sehr gut. Nun möchte Sie aber schwanger werden und wir fragen uns, ob die Fortsetzung der Erenumab-Therapie während der Schwangerschaft sicher und ratsam ist.“

Antwort von ATIS

Wir erhalten häufig Anfragen, ob bestimmte Medikamente während der Schwangerschaft sicher angewendet werden können. Dieses Beispiel wurde für die Präsentation ausgewählt, da es die typischen Herausforderungen bei der Risikobewertung neu entwickelter Medikamente in der Schwangerschaft verdeutlicht. Gleichzeitig zeigt es, wie mit den CGRP-Blockern - einer innovativen Therapieform, die das Calcitonin Gene-Related Peptide oder dessen Rezeptor blockiert - ein neuer Ansatz für ein altbekanntes und weit verbreitetes Problem gefunden wurde.

 

CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide) wird während eines Migräneanfalls freigesetzt und trägt durch Schmerzsensibilisierung sowie Vasodilatation zur Verstärkung des Anfalls bei. Monoklonale Antikörper wie Galcanezumab (Emgality®), Fremanezumab (Ajovy®) oder Eptinezumab (Vyepty®) binden und blockieren das Neuropeptid CGRP und Erenumab (Aimovig®) blockiert den CGRP-Rezeptor. Diese Medikamente sind zur Migräneprophylaxe zugelassen, wenn pro Monat vier oder mehr Migränetage dokumentiert sind. In der Regel sollten zuvor andere Migräneprophylaktika wie Metoprolol oder Amtriptylin probiert werden, bevor auf die CGRP-Antikörper zurückgegriffen wird.

 

Wie bei allen neuartigen Medikamenten bleibt die Sicherheit in der Schwangerschaft zunächst über etwa zwei Jahrzehnte unklar. Entsprechend die Empfehlung, das Medikament in der Schwangerschaft nicht anzuwenden. Das liegt daran, dass zur Bewertung der Sicherheit in der Embryonal- und Fetalperiode keine interventionellen klinischen Prüfungen durchgeführt werden. Vielmehr wird erst einmal über lange Zeit beobachtet, welche Folgen eine (zum Beispiel versehentliche und wegen therapeutischer Alternativlosigkeit erforderliche) Anwendung in der Schwangerschaft hat. Insofern werden wir wahrscheinlich frühestens in etwa 10 Jahren, also dann etwa 15 Jahre nach Einführung des Medikaments, die hier gestellte Frage verlässlich beantworten können.

 

Physiologische Überlegungen zeigen, dass sowohl körpereigene als auch therapeutisch injizierte IgG-Antikörper in den ersten 20 bis 25 Schwangerschaftswochen kaum über die Plazenta in den Embryo oder Fetus gelangen. Erst ab etwa der 25. Woche erfolgt eine aktive Übertragung mütterlicher Antikörper in den fetalen Kreislauf, wo sie am Ende der Schwangerschaft sogar angereichert werden. Bis zur 25. Woche besteht aber bei monoklonalen Antikörpern ein gewisser Schutz, wenngleich die Plazentaschranke keine vollständige Barriere darstellt. Die Placentaschranke ist nie eine absolut dichte „Stahlwand“. Zudem könnten CGRP-Blocker die Regulation des Blutflusses in der Plazenta beeinflussen.

 

Angesichts der monatlichen Injektionen und der etwa einmonatigen Halbwertszeit von Erenumab sollte die Behandlung bei Bekanntwerden der Schwangerschaft beendet werden. Das basiert auf der allgemeinen Regel, dass ein Medikament erst nach vier bis fünf Halbwertszeiten weitgehend eliminiert ist. Nach der Geburt, in der Stillzeit werden Antikörper in den ersten Wochen noch über die Muttermilch übertragen und wirken überwiegend nur im Darm des Säuglings oder werden allenfalls in den ersten Tagen nach der Geburt noch intestinal resorbiert. Insofern kann in Übereinstimmung mit den Herstellerinformationen [1] dann bald nach der Geburt die Anwendung des Präparates auch in der Stillzeit in Betracht gezogen werden.

 

Empirische Daten: Derzeit gibt es lediglich Fallberichte und unsystematisch erfasste Daten zu etwa 300 Schwangerschaftsverläufen, bei denen Erenumab oder andere CGRP-Blocker überwiegend in der frühen Schwangerschaft angewandt wurden. Eine Publikation kommt zu dem Schluss, dass die Komplikationsrate nicht höher ist als allgemein für Schwangerschaften bekannt [2]. Die Autoren ziehen daraus die Empfehlung, das Medikament bereits schon bei Kinderwunsch nicht zwingend absetzen zu müssen. Allerdings bleibt die Zahl von 300 Fällen klein und aus der noch unklaren Datenlage lässt sich allenfalls abschätzen, dass das Risiko erheblicher Schäden wohl nicht über ein bis zwei Prozent liegt.

 

So bleibt heute in den meisten Fällen bei Frauen mit Migräne die Empfehlung aus www.embryotox.de: Schmerzbehandlung mit Paracetamol und (bis zur 28. Woche) mit Ibuprofen oder Naproxen. Bei schweren Anfällen kann auch Sumatriptan eingesetzt werden und zur Prophylaxe Metoprolol (Retardpräparat) oder Amitriptylin (wobei besonders letzteres schlecht verträglich ist). Und bei der häufigen begleitenden Übelkeit kann auch Metoclopramid genommen werden. Aber verglichen damit scheint die prophylaktische Wirksamkeit der CGRP-Antagonisten deutlich besser zu sein. Verglichen mit Placebo reduzierten die CGRP-Antagonisten im Durchschnitt zwei Migränetage pro Monat [3], in einzelnen Studien auch um drei Tage pro Monat [1]. Verglichen damit werden die Migränetage mit den „konventionellen“ Migräneprohylaktika Metoprolol, Topiramat, Amitriptylin oder Calciumkanalblockern im Durchschnitt nur um einen Tag oder weniger pro Monat reduziert [3]. Allerdings ist zu beachten, dass die Wirksamkeit von Medikamenten im Praxisalltag häufig geringer ist als in kontrollierten klinischen Studien.

 

Empfehlung im konkreten Fall: Es könnte auch von der individuellen Krankengeschichte abhängen, die uns in den Details nicht bekannt ist. Wenn die Patientin bereits die gängigen Optionen der Migränetherapie und Prophylaxe ausprobiert hat und diese wenig erfolgreich waren, könnte es eine Belastung darstellen, sie der Sorge vor häufigen Migräneanfällen während der Schwangerschaft auszusetzen. Allerdings bessert sich die Migräne oft während der Schwangerschaft und es sollte erfragt und berücksichtigt werden, wie wirksam das Medikament Erenumab in diesem individuellen Fall bei dieser Patientin denn konkret wirklich war. Die durchschnittliche Reduktion der Migränebelastung um zwei Tage pro Monat mag in einigen Fällen zwar noch besser ausfallen, in anderen Fällen aber auch viel weniger – dann wäre zum Beispiel das Metoprolol eine gleichwertige Option.

Ganz gleich, zu welcher Empfehlung man sich hier entscheidet, die möglichen Risiken müssen mit der Patientin klar besprochen werden, und das Gespräch sollte dokumentiert werden. Bei einer Anwendung von Erenumab in der Schwangerschaft kann ein, wenn auch wahrscheinlich geringes Risiko von Missbildungen und Entwicklungsstörungen nicht vollständig ausgeschlossen werden. Es ist bemerkenswert, dass CGRP-Blocker insgesamt sehr gut verträglich sind. Dennoch können sie Auswirkungen auf Nieren- und Kreislauffunktionen haben, und es bleibt unklar, welche möglichen Folgen dies auf die fetale Entwicklung haben könnte.

 

Prof. Dr. med. Jürgen Brockmöller
Institut für Klinische Pharmakologie
Universitätsmedizin Göttingen

 

Literatur

[1] Aimovig® Fachinformation. Novartis Pharma GmbH, Nürnberg, Stand der Information: Juni 2023

[2] Case series on monoclonal antibodies targeting calcitonin gene-related peptide in migraine patients during pregnancy: Enhancing safety data.  I Elosua-Bayes et al., Cephalalgia 2024, 44, 1–6

[3] The comparative effectiveness of migraine preventive drugs: a systematic review and network meta-analysis. C. Lampl et al. The Journal of Headache and Pain 2023 24:56, 1-14