Pressemitteilung

Mehr Praxisaufgaben, kaum Nachfolger: Droht in Niedersachsen ein Praxissterben?

Symposium 2024, Barjenbruch

KVN-Symposium „Zur Zukunft der Sicherstellung der ambulanten medizinischen Versorgung in Niedersachsen“ am 7. November 2024 gibt Antworten auf diese Frage

 

Immer mehr Arztpraxen in Niedersachsen werden in den kommenden Jahren schließen. Es mangelt an nachrückenden Ärztinnen und Ärzten und an Fachpersonal. Der Druck auf die Praxen wächst. Ist die Versorgung in Niedersachsen gefährdet?

 

Mit dieser Frage beschäftigen sich heute im Alten Rathaus in Hannover Referenten der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN), des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI), niedergelassene Vertragsärzte sowie Vertreter der niedersächsischen Gemeinden und Kommunen auf einem KVN-Symposium unter dem Titel „Zur Zukunft der ambulanten medizinischen Versorgung in Niedersachsen“.

 

„Die Zukunft vieler Arztpraxen in Niedersachsen ist ungewiss. Das liegt in erster Linie an den Altersstrukturen der Ärzte und Psychotherapeuten. Das Durchschnittsalter unserer 16.885 Mitglieder liegt bei 54,6 Jahre. Viele Ärztinnen und Ärzte gehen in den kommenden zehn Jahren in den Ruhestand. Gleichzeitig kommen nicht genügend nach. Aufgrund der geburtenschwachen Jahrgänge und der starren Zugangsregelungen zum Medizinstudium mangelt es an jungen Ärztinnen und Ärzten aber auch an Medizinischen Fachangestellten“, sagt Dr. Eckart Lummert, Vorsitzender der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN), im Vorfeld des KVN-Symposiums.

 

Aktuell können sich in Niedersachsen ad hoc 549 Hausärztinnen oder Hausärzte, 154 Fachärztinnen und Fachärzte sowie 5 Psychologische Psychotherapeutinnen oder Psychotherapeuten niederlassen.

 

Hausärztliche Versorgung

In der hausärztlichen Versorgung sind von 105 Planungsbereichen 24 für weitere Zulassungen gesperrt und 81 nicht gesperrt. Es gibt insgesamt 548,5 freie Sitze. Nach der Anzahl der freien Sitze gibt es in den Regionen Salzgitter (24), Wolfsburg (18), Papenburg (17,5), Syke (17,5), und Buxtehude (16) den größten Bedarf.

 

Fachärztliche Versorgung

In der fachärztlichen Versorgung gibt es einen aktuellen Bedarf für folgende Fachgruppen:

  • Augenärzte von 4
  • Chirurgen und Orthopäden von 0,5
  • Frauenärzte von 3
  • HNO-Ärzte von 8,5
  • Hautärzte von 14,5
  • Kinder- und Jugendärzte von 22,5
  • Nervenärzte von 22
  • Psychiater von 6
  • Psychologische Psychotherapeuten von 4,5
  • Ärztliche Psychotherapeuten 72,5
Symposium 2024, Schmidt

„Nach den Bedarfsplanungszahlen können sich rein rechnerisch in vielen Regionen Niedersachsens Hausärztinnen und Hausärzte, insbesondere auf dem Land, niederlassen. Die große Herausforderung besteht darin, die freien Sitze auch tatsächlich zu besetzen. Als KVN werden wir das nur in enger Partnerschaft mit allen Beteiligten schaffen. Die Sicherstellung der ambulanten Versorgung in Niedersachsen wird in Zukunft anders werden“, erklärt der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN), Thorsten Schmidt.

 

Schmidt erneuert die Forderung an die Landespolitik, zügig für mehr Studienplätze im Fach Humanmedizin zu sorgen. „Nach Berechnungen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung brauchen wir in Niedersachsen jedes Jahr 470 Medizinstudienplätze zusätzlich. Davon sind wir weit entfernt.“

 

Dr. Lummert fügt hinzu, dass die gesetzlich vorgegebene Bedarfsplanung schon heute nicht mehr abbilde was viele Menschen fühlten: „Viele Bürgerinnen und Bürger finden keine Hausärzte mehr die sie aufnehmen oder müssen lange auf einen Termin warten. Der Grund:  Viele Kolleginnen und Kollegen haben oft keine Kapazitäten mehr. In vielen Fällen auch deshalb nicht, weil es zu wenig erfahrene Medizinische Fachangestellte gibt und die Ausbildung zur MFA an Attraktivität eingebüßt hat.  Dadurch fehlt es vielen Praxen an Personal. Die Sprechstundenzeiten müssen eingeschränkt werden.“

 

Der demographischen Wandel macht auch vor den Patientinnen und Patienten nicht Halt: „Wir haben heute mehr alte Patienten und die werden öfter krank", sagt Lummert. Die Bürokratie fresse außerdem wichtige Patientenzeit. „Die Bürokratie hat erheblich zugenommen. Und das betrifft offenbar alle niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. Inzwischen wendet jeder niedergelassene Arzt durchschnittlich 61 Arbeitstage pro Jahr für Verwaltungstätigkeiten auf“, so der VV-Vorsitzende.

 

Doch wie können moderne Versorgungslösungen aussehen? „Dazu werden wir auf dem Symposium fünf best-practice-Beispiele aus Niedersachsen vorstellen“, so Schmidt.

  • med. Volker Eissing – Papenburg: „Ein Landarzt organisiert die Versorgung neu – Physician Assistants“
  • Klaus-Achim Ehlers: „Ein Ärztehaus auf dem Land – das Beispiel Gifhorn“
  • Tanja Gerlach – „Die Avatar-Praxis in Scheeßel“
  • Friedhelm Ottens – Regionales Versorgungszentrum (RVZ) Wurster Nordseeküste (Nordholz) – Versorgung unter einem Dach“
  • Matthias Berndt – „Primärversorgungszentren in Niedersachsen“

Der Hausarzt Lummert abschließend: „Wir müssen alle unserer Erwartungshaltung überdenken. Wir sollten uns freuen, dass Ärztinnen und Ärzte sowie Medizinische Fachangestellte für uns da sind, statt uns darüber zu ärgern, dass sie nicht alles schaffen. Es muss aber auch aufhören, dass Politik und Krankenkassen permanent den Eindruck erwecken, Bürgerinnen und Bürger könnten alles sofort und umfangreich von ihren Ärztinnen und Ärzten erhalten. Das geht so nicht mehr.“