Der niedersächsische Gesundheitsminister Andreas Philippi regte im vergangenen Jahr ein Symposium an, um über die Chancen und Möglichkeiten der Ambulantisierung in Niedersachsen mit Ärztinnen und Ärzten, der Kassenärztlichen Vereinigung, der AOK und der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft zu diskutieren. Als die Beteiligten am 19. März 2025 in Hannover zusammenkamen, fehlte ausgerechnet Philippi selbst. Er musste in Berlin den neuen Koalitionsvertrag mitverhandeln - vertrat aber natürlich auch dort die Gesundheitsthemen. In Hannover sprang Karin Stary, Leiterin der Abteilung „Gesundheit und Prävention“ im Niedersächsischen Gesundheitsministerium für den Minister ein und machte deutlich, dass Ambulantisierung die Zukunft sei. Nur so könnten die raren Ressourcen im Gesundheitswesen effizient und nachhaltig genutzt werden, würden die Patienten schnell in die richtige Versorgungsebene kommen und Kapazitäten in Krankenhäusern für die schwierigeren Fälle freigehalten. Dass diese Entwicklung ein Selbstläufer wird, glaubte Stary aber nicht. Eine kaum auskömmliche Vergütung und unterschiedliche Interessen der einzelnen Akteure führten noch zu oft zu Skepsis statt zu Kooperation. Die sektorenübergreifende Zusammenarbeit müsse also besser werden, hemmende Bürokratie abgebaut und wirtschaftliche Attraktivität geschaffen werden. „Jetzt ist der Moment“, sagte Stary, die anderen Ländern nachfolgen möchte, die bei der Ambulantisierung deutlich weiter sind, beispielsweise Dänemark oder Frankreich.
Das will auch der Ökonom Jonas Schreyögg (im Bild). Der Professor von der Universität Hamburg, ein versierter Beobachter des Gesundheitswesens, sah daher keine Alternative zu Hybrid-DRGs. Schreyögg plädierte für eine pragmatische und zügige Herangehensweise. Hybrid-DRGs seien die Chance zu einem Quantensprung für mehr Ambulantisierung und deren Ausweitung eine schnell wirksame politische Strukturreform mit enormem Potential bei der Personalbindung. Alle Operationen mit einem PCCL-Level (Patient Clinical Complexity Level) zwischen Null und Drei könnten perspektivisch aus dem DRG-Katalog herausgenommen und ambulantisiert werden. Schreyögg sprach langfristig von bis zu 26 Millionen umzuwidmenden Belegtagen. Nötig seien hierfür ein ausgeweiteter Maßnahmenkatalog und eine faire Vergütungsvereinbarung.
Neun Prozent mehr ambulante Fälle im Jahr 2028 als heute konnten sich die Krankenkassenvertreter vorstellen und betonten, dass dieser Weg fürs Gesamtsystem kostengünstiger sei, aber eben auch mit einer höheren Vergütung einhergehe. „Wir sparen uns nicht reich“, bilanzierte Katrin Pohlabeln, Unternehmensbereichsleiterin „Ärztliche Versorgung“ bei der AOK Niedersachsen. Aber die regionale Versorgung könne durch mehr ambulante Eingriffe verbessert werden und Deutschland internationalen Standards näherkommen. Wie kompliziert das in der praktischen Umsetzung werden kann, zeigte Karin Hoffmann am Beispiel des Klinikums Oldenburg auf. Die Probleme führten dort soweit, dass ein Patient ein Frühstück bekam, der andere nicht, obwohl beide im selben Zimmer lagen. Der eine aber habe übernachtet, der andere nicht. Wo fängt Ambulantisierung also an, wo hört sie auf, wie wird sie im Zweifelsfall abgerechnet, wie erkennen Ärztinnen und Ärzte überhaupt die Potenziale und wird das stationäre Personal am Ende tatsächlich entlastet, wenn auf den Stationen nur die schweren Fälle übrigbleiben? Hoffmann stellte am Ende ihres engagierten Vortrags fest: „Ambulantisierung muss beherrscht werden, nicht verwaltet.“
Das Publikum im Alten Rathaus in Hannover hatte zu all dem natürlich Diskussionsbedarf. Die Stimmung zusammengefasst: Dem ambulanten Operieren steht die Bürokratie im Weg und sie lohnt sich finanziell nicht. Zum einen, weil die Vergütung nicht auskömmlich, zum anderen, da die Konkurrenz groß ist. Außerdem fühlen sich die Niedergelassenen nicht in den Prozess eingebunden. „Wir werden nicht gehört“, fasste es ein niedergelassener Facharzt unter Applaus zusammen.